Hessischer Flüchtlingsrat fordert flüchtlingspolitische Maßnahmen angesichts der Corona-Pandemie
Der Hessische Flüchtlingsrat fordert die Landesregierung auf, als Konsequenz aus der Corona-Pandemie Maßnahmen auch im Flüchtlingsbereich zu ergreifen.
„Gerade unter Asylsuchenden ist die Verunsicherung derzeit sehr groß, da die meisten Informationen nur auf Deutsch zugänglich sind. Zudem haben wir weiterhin eine sehr prekäre Unterbringungssituation im Land, vielerorts sind die Menschen in Unterkünften mit mehreren Hundert Personen in Mehrbettzimmern untergebracht.“, erklärte Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates. „In bestimmten Bereichen brauchen wir zudem Rechtssicherheit, was die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen durch Corona angeht, und Abschiebungen sollten bis auf weiteres ganz ausgesetzt werden.“
Die aus Sicht des Flüchtlingsrates dringendsten Maßnahmen sind:
Abschiebungen / Abschiebungshaft
Derzeit werden schon einige Abschiebungen wegen der Corona-Pandemie storniert, jedoch wurde bislang kein allgemeiner Abschiebungsstopp erlassen. Aufgrund der völlig unklaren Lage in weiten Teilen der Welt sollten sämtliche Abschiebungen und Überstellungen in andere EU-Länder bis auf weiteres ausgesetzt werden und dies auch offiziell durch einen Erlass geregelt werden, um Rechtsklarheit zu haben. Als Konsequenz daraus müssen alle Abschiebungshäftlinge entlassen werden und die Betroffenen Duldungen ausgestellt bekommen.
Duldungen
Grundsätzlich sollten die Ausländerbehörden Duldungen mit längerer Laufzeit ausstellen, damit die Menschen nicht mehr so häufig zur Ausländerbehörde müssen. Es sollte geprüft werden, ob bestimmte Verfahren vorübergehend auch auf elektronischem Wege möglich sind, z.B. Arbeitserlaubnisverfahren, Verlängerung von Aufenthaltstiteln oder Duldungen.
Fristen zur Identitätsklärung z.B. für die Ausbildungsduldung oder aber auch für die „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ sollten verlängert werden, da auch viele Konsulate den Betrieb eingestellt haben.
Sämtliche Kürzungen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen aufgehoben werden, einerseits wegen jetzt fehlender Kausalität der Nichtmitwirkung bei der Abschiebung, andererseits um dem erhöhten Bedarf an Hygieneartikeln Rechnung zu tragen.
Unterbringung
In den vergangenen Monaten hat sich die Zahl der in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung untergebrachten Personen mehr als verdoppelt, da seit August 2019 nur noch wenige Personen auf die Kommunen verteilt werden[1]. Beengte Großunterkünfte, in denen mehrere Personen ein Zimmer teilen müssen, sind niemals eine gute Idee, bei der Corona-Pandemie erst recht nicht. In Gießen sind derzeit etwa 1.500 Personen untergebracht, damit ist es eines der größten Sammellager bundesweit.
Das Land muss dringend in Kooperation mit den Kommunen ein Konzept entwickeln, um die die Anzahl der Personen in den Großunterkünften deutlich zu reduzieren und möglichst viele Menschen dezentral unterzubringen. Hierzu sind sämtliche freien Kapazitäten einzubeziehen, ggf. muss über die Anmietung von Hotels oder Pensionen nachgedacht werden, um die Belegungsdichte zu reduzieren.
Personen, die als Angehörige einer Risikogruppe eingestuft werden, müssen sofort aus den Gemeinschaftsunterkünften herausgeholt und separat untergebracht werden.
Sowohl in der Erstaufnahme als auch in den Kommunen sollten für die Gemeinschaftsunterkünfte extra Reinigungs- und Desinfektionsmittel für die Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden.
Informationen
Es gibt bislang keine bzw. nur wenige mehrsprachige Informationen zur aktuellen Lage. Das Gesundheitsministerium sollte Hinweise zur aktuellen Situation auch in den wichtigsten Sprachen von Asylsuchenden zur Verfügung stellen. Hierzu böte sich an, die Seite fluechtlinge.hessen.de zu reaktivieren, auf der bis vor Kurzem relevante Informationen rund um die Flüchtlingsaufnahme zur Verfügung gestellt wurden. Dies betrifft sowohl Verhaltenshinweise bei der Corona-Pandemie als auch Informationen zu Abschiebungen, sonstigen Verfahren etc.
Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen
Es ist absehbar, dass sich aufgrund der Corona-Pandemie die wirtschaftliche Lage vieler Betriebe verschlechtern wird. Infolge dessen werden wahrscheinlich auch Menschen ihre Arbeit verlieren. Hiervon sind erfahrungsgemäß überproportional prekäre Beschäftigungsverhältnisse betroffen, die häufig von Menschen mit unsicherem Aufenthalt ausgeübt werden.
Gerade bei Regelungen wie der Bleiberechtsregelung oder der neuen Beschäftigungsduldung hängt der Aufenthalt direkt davon ab, dass man den Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sichert. Hier sollte per Erlass klargestellt werden, dass Unterbrechungen der Lebensunterhaltssicherung infolge der Corona-Pandemie keine negativen aufenthaltsrechtlichen Auswirkungen haben.